Kaum etwas beschäftigt uns Immobilienrechtler so sehr wie vermeintliche oder echte Verstöße gegen die gesetzliche Schriftform für langfristige Mietverträge aus § 550 BGB.
Gerade ausländischen Mandanten ist es häufig kaum vermittelbar, dass Mietverträge, die offensichtlich von beiden Parteien unterschrieben und fest verbunden sind, dennoch nicht der Schriftform genügen können. Nicht selten erntet man daher als Berater erstaunte Blicke und gelegentlich auch grundsätzliche Zweifel an der deutschen Rechtsordnung, wenn man den Mandanten den Schriftformverstoß trotz eines erkennbar schriftlich unterzeichneten Dokuments eröffnet. Dies ist häufig der Fall, wenn wesentliche vertragliche Vereinbarungen nicht Eingang in die Vertragsurkunde gefunden haben, weil sie entweder im Mietvertrag nicht eindeutig geregelt sind oder aber es Abreden außerhalb der Vertragsurkunde gegeben hat.
Da die Bemühungen um eine gesetzgeberische Entschärfung der Problematik zuletzt auch im Sande verlaufen sind und wohl derzeit nicht weiter betrieben werden, bleibt zu erwarten, dass es auch künftig vielfältige Entscheidungen der Instanzgerichte sowie des BGH hierzu geben wird.
Der Mieter und Betreiber eines Hostels mit Bar hatte im Einvernehmen mit dem Vermieter verschiedene Veränderungen des Mietgegenstandes vorgenommen, unter anderem einen Wanddurchbruch mit Einbau einer Durchgangstür innerhalb der Mietsache, Glasfaserkabel verlegt sowie ein Schließsystem für den Mietgegenstand eingebaut. Im Mietvertrag war das Recht des Mieters vorgesehen, Veränderungen des durch Anlagen genau definierten Mietgegenstands vorzunehmen. Bei Beendigung des Mietvertrags sollte der Mieter verpflichtet sein, diese Veränderungen rückgängig zu machen.
Wie zu erahnen – sonst wäre der Fall vermutlich nicht beim Landgericht gelandet – erfolgte die Kommunikation der Parteien zu den genannten Änderungen außerhalb der Mietvertragsurkunde und war damit auch prinzipiell geeignet, einen Schriftformverstoß zu begründen. Jedenfalls war der Vermieter dieser Auffassung und kündigte den noch mehrere Jahre laufenden Mietvertrag ordentlich unter Berufung auf einen Schriftformmangel.
Das Landgericht erteilte dem auf die Kündigung gestützten Räumungsbegehren des Vermieters eine klare Absage.
Es äußerte bereits Zweifel daran, dass es sich bei den Vereinbarungen zum Wanddurchbruch um vertragsändernde Abreden der Parteien gehandelt habe. Es stützt diese Auffassung auf die Regelungen des Ausgangsvertrags, die die Möglichkeiten von Umgestaltungen der Mietsache während der langen Laufzeit bereits vorsahen und ebenso bereits die Rückbauverpflichtung beinhalteten. Aus Sicht eines Erwerbers des Grundstücks als primär von der Norm des § 550 BGB geschützter Partei bestünden daher keine Unklarheiten über die Reichweite von Rückbaupflichten, da sich aus dem Ausgangsvertrag die Beschaffenheit des Mietgegenstands zu Vertragsbeginn und damit der bei Rückgabe wiederherzustellende Zustand ergebe.
Weitere Zweifel hatte das Landgericht auch an der Wesentlichkeit der Änderung, die verglichen mit geringfügigen Anpassungen der Miete, Erweiterungen der Mietsache oder einer kurzzeitigen Verlängerung der Mietdauer keine andere Betrachtung rechtfertigten. Insbesondere angesichts der ohnehin zusätzlich zur Vertragsklausel bestehenden gesetzlichen Rückbaupflicht des Mieters aus § 546 BGB könne man vorliegend nicht von einer wesentlichen vertragsändernden Abrede der Parteien ausgehen.
Abschließend stellte das Gericht – angesichts der vorangehenden Argumentation für den Ausgang des Verfahrens ohne Relevanz - fest, dass jedenfalls solche Änderungen des Mietgegenstands, an deren Vereinbarung der derzeitige Vermieter selbst mitgewirkt habe (dies betraf nur die Verlegung des Kabels sowie das Schließsystem), eine schriftformbedingte Kündigung nicht rechtfertigen könnten, weil der Kündigung des Vermieters die Einrede der Treuwidrigkeit aus § 242 BGB entgegenstehe.
Das – bislang nicht rechtskräftige - Urteil des Landgerichts steht im Einklang mit einer Reihe von jüngeren Entscheidungen mit zurückhaltender Tendenz der Instanzgerichte, Schriftformverstöße als Grundlage für vorzeitige Kündigungen zu akzeptieren.
Hierbei mag neben den rechtlich zumindest nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Gerichts der selbstverständlich darin nicht explizit erwähnte psychologische Aspekt eine Rolle spielen, dass die Partei, die vorzeitig ein bestehendes Mietverhältnis beendet, in der Wertung der Laiensphäre und juristisch über das Einfallstor des § 242 BGB auch des Gerichts sich „unredlich“ verhält, wenn wegen eines „bloßen Formverstoßes“ ein langfristiges Mietverhältnis vorzeitig und häufig für den Kündigungsempfänger überraschend beendet wird. Dies ist nachvollziehbar, da die Schriftformkündigung in der Praxis tatsächlich häufig als Ansatz gewählt wird, wirtschaftlich als nachteilig empfundene Mietverhältnisse vorzeitig zu beenden. Der Kündigungsempfänger nimmt dies häufig als „Foulspiel“ wahr.
Da der BGH in seiner viel beachteten Entscheidung aus dem Jahr 2017 (XII ZR 114/16 vom 27.09.2017) den seit den 2000ern marktüblichen vertraglichen Schriftformheilungsklauseln als vormals bestehendem „Rettungsanker“ bei Schriftformverstößen die Wirksamkeit versagt hat, erscheint die Möglichkeit einer Schriftformkündigung prima facie wieder greifbarer und durchsetzbarer als zuvor. Doch dieser vordergründige Schein trügt, weil er mit der gegenläufigen Tendenz der Gerichte einhergeht, die Hürde für Schriftformkündigungen – wie vorliegend auch – deutlich höher zu legen als noch vor einigen Jahren.
Inhaltlich verdient die Entscheidung des Landgerichts Zustimmung.
Jedenfalls in solchen Fällen, in denen die Parteien den Mietgegenstand zu Beginn eindeutig definiert haben und bereits eine vertragliche Vereinbarung zum Umgang mit Umbauten während der Mietdauer getroffen haben, fehlt es wie das Landgericht unmissverständlich ausführt am Willen, eine vertragsändernde Vereinbarung zu treffen. Die Parteien „leben“ vielmehr den Vertrag und die darin bereits angelegte Anpassung der Mietsache. Wenn es aber an einer Vertragsänderung bereits fehlt, kann diese schon begrifflich nicht wesentlich sein.
Auf diese zweite Wertungsebene des Gerichts gelangt man erst dann, wenn man denn anders als das Gericht eine Vertragsänderung annähme. Auf dieser Ebene kommt es dann sicherlich auf eine Bewertung der konkreten Änderung an. Und auch hier ist in der Rechtsprechung eine einschränkende Tendenz zu erkennen, was die Annahme wesentlicher Vertragsänderungen angeht. Auch insofern ist die Entscheidung des Gerichts nachvollziehbar, bei allein inneren Veränderungen des Mietgegenstands (hier wurde ein Durchgang zwischen Bar- und Lobbybereich geschaffen) die Wesentlichkeit abzulehnen.
Überraschend und noch weiter gehend als der Querschnitt der aktuellen Rechtsprechung ist dagegen die recht allgemeine Annahme des Gerichts im Rahmen eines obiter dictums, der aktuelle Vermieter des Objekts könne eine Schriftformkündigung jedenfalls aus Gründen der Treuwidrigkeit nicht auf solche Vereinbarungen stützen, an denen er selbst mitgewirkt habe.
Hierzu entspricht es soweit erkennbar der herrschenden Rechtsprechung, eine Treuwidrigkeit der Kündigung nur dann anzunehmen, sofern neben der Mitwirkung an der vertragsändernden Vereinbarung die Änderung für den Kündigenden auch allein vorteilhaft ist, also beispielsweise eine Mieterhöhung für den Vermieter oder eine Vertragsverlängerung für den Mieter.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich Parteien von langfristigen Mietverträgen mit Schriftformkündigungen häufig auf dünnes Eis begeben und sehr sorgfältig abwägen sollten, ob die Kündigung tatsächlich Erfolg haben kann. Es müssen dafür wie vorliegend mehrere Hürden genommen werden (Vertragsänderung, Wesentlichkeit, keine Treuwidrigkeit), von denen vorliegend bereits die erste gerissen wurde. Die aktuelle Rechtsprechung – und die Entscheidung des LG Berlin ist exemplarisch dafür – begegnet diesen Kündigungen jedenfalls mit Ausnahme von sehr eindeutigen Fällen mit großer Zurückhaltung. Im Interesse des Bestands langfristig geschlossener Mietverträge und damit der Rechtsicherheit und Planbarkeit ist diese Entwicklung sicherlich zu begrüßen.
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