Im Jahr 2008 veröffentlichte ein*e – allein unter dem Pseudonym „Satoshi Nakamoto“ bekannte*r – Entwickler*in das erste Whitepaper1 zur Kryptowährung Bitcoin, die sich bisher als höchstvolatiles Investment für Währungsspekulanten herausgestellt hat. Dabei basierte der erste sog. currency-Token2 auf der Blockchain – einer sog. Distributed Ledger Technology.
Die vorige Bundesregierung hatte am 18. September 2019 in einem Positionspapier3 ihre Blockchain-Strategie vorgestellt. Ob die zugrundeliegende Technologie „The next big thing“ oder die Marktreife aufgrund „leerer Versprechungen der ‚Techies‘ für ungelöste Probleme“ überschätzt ist, lässt sich nur schwerlich beantworten. Fest steht, dass das Erforschungs- und Entwicklungspotenzial nach wie vor immens ist.
Aufgrund der technischen Komplexität besteht für die rechtliche Einordnung sog. Blockchain-basierter-Geschäftsmodelle jedenfalls legislativer Nachholbedarf. Zurzeit stützen sich die Auffassungen in der Literatur auf die Subsumtion der steuerlich relevanten Vorgänge unter tradierte Steuerrechtsnormen und die bisher erschienenen Veröffentlichungen der Finanzverwaltung. Inzwischen liegen einige finanzgerichtliche Entscheidungen sowie ein vom Bundesfinanzministerium veröffentlichte Schreiben über ‚‚Einzelfragen zur ertragssteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token‘‘ vor und das Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere („eWpG“) ist in Kraft getreten.
Für Blockchain-Befürworter bietet sich ein vielfältiger Einsatzbereich, auch abseits von der Token-Spekulation. So können sog. investment-Token5 Unternehmen zur Beteiligung ihrer Mitarbeiter als Gesellschafter und sog. utility-Token6 zur Finanzierung anstehender Projekte oder zur Verfolgung von Lieferketten dienen. Klassischerweise wird die Technologie aufgrund ihres Transparenzvorsprungs gegenüber zentralen Systemen stets mit der Digitalisierung staatlicher Register (bspw. Transparenzregister, Handelsregister, Grundbuch, etc.) verbunden.
Die zugrundeliegende Distributed-Ledger-Technology ist eine dezentral geführte und – als mehrfach lokale, jeweils identische Kopie beim Teilnehmer – gespeicherte Datenbank. Der Datenaustausch zwischen den Teilnehmern der Datenbank erfolgt auf Basis einer Peer-to-Peer-Netzwerk-Architektur. Die Verifizierung der Transaktionen erfolgt über Konsensmechanismen, bevor die Datenbank stetig bei allen synchronisiert und aktualisiert wird. Die transparente Architektur ermöglicht den Teilnehmern Zugriff auf den Status und auf eine überprüfbare Historie der vorgenommenen Transaktionen. Gegenstand einer Transaktion kann dabei jede beliebige Information sein.
Speziell in der Blockchain werden die Datensätze in Blöcken zusammengefasst, welche wiederrum zu einer Kette miteinander verknüpft werden, wobei jeder neu angehängte Block aus dem sog. Hashwert, d.h. eine Zusammenfassung und Überprüfung des vorherigen Blocks – vergleichbar einem digitalen Fingerabdruck – errechnet wurde. Wenn sich der Inhalt eines Blocks auch nur minimal ändert, stimmt der Hashwert nicht mehr mit der gespeicherten Information im nachfolgenden Block überein. Dadurch erlangt die gesamte Kette ihre Fälschungssicherheit.
Der Coin/Token beschreibt in der Blockchain die fälschungssichere, digitale, kryptografische Registratur, die in der analogen Welt am ehesten mit einer Urkunde mit inhärenter Übertragbarkeit vergleichbar wäre. Sog. Miner erhalten Token als Belohnung dafür, dass sie noch nicht in der Blockchain gespeicherte Transaktionen in den nächsten Block der Kette „schreiben“ (sog. Mining). Die regulären Teilnehmer, die nur einen Lese- und keinen Schreibzugriff auf die Blockchain haben, zahlen Transaktionsgebühren in Token.
Zusammengefasst liegen die wesentlichen Vorteile der Technologie in der Transparenz der Datenbank und dem Schutz vor Manipulation der Transaktionshistorie durch einzelne Teilnehmer.
Aktuell sieht das Steuerrecht keine explizite Besteuerung für die Erträge aus dem Erhalt, Tausch, Halten oder Veräußerung von Coins/Token oder der Transaktionen vor. Die Subsumtion dieser digitalen Sachverhalte erfolgt unter das tradierte steuerrechtliche System. Im Regelfall sollten Veräußerungsgewinne entweder im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 EStG) oder der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 22 Nr. 2 EStG i. V. m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG) einer Besteuerung unterliegen.8 Dabei hängt die genaue Einordnung von den (technischen) Umständen des Einzelfalls ab.9
Das am 4. Juni 2021 in Kraft getretene eWpG10 ermöglicht Unternehmen, die Blockchain-Technologie zur Unternehmensfinanzierung einzusetzen. Wie schon in der Blockchain-Strategie stellt das eWpG heraus, dass die beabsichtigten Regelungen technologieneutral erfolgen sollen. Im Mittelpunkt des eWpG stehen dabei die Wertpapierregister – zentrale Register über elektronische Wertpapiere und Kryptowertpapierregister – sowie der Eigentumsschutz für Anleger, nach dem elektronische Wertpapiere wie Sachen i.S.d. § 90 BGB behandelt werden sollen.11
Während das zentrale Register über elektronische Wertpapiere der staatlichen Finanzaufsicht unterliegen soll,12 muss das Kryptowertpapierregister auf einem dezentralen, fälschungssicheren Aufzeichnungssystem geführt werden, in dem Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Veränderung geschützt gespeichert werden.13 Erforderlich ist die Veröffentlichung der Eintragung in das Kryptowertpapierregister durch den Emittenten, wobei dieser auch den Inhaber des Registers bestimmt. Weder die Veröffentlichung noch die Mitteilung sind für die Entstehung des Kryptowertpapiers konstitutiv.
Die aktuelle Bundesregierung beabsichtigt ausweislich des Koalitionsvertrags, die durch das eWpG geschaffene Möglichkeit zur Emission elektronischer Wertpapiere auch auf Aktien auszuweiten14.
Die durch das eWpG getroffene Einordnung der Rechtsnatur der Kryptowährungen soll jedoch keinerlei Präjudizwirkung für andere Regelungen außerhalb des Wertpapierrechts entfalten.
In einem Schreiben vom 27. Februar 201815 hat das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“)16 entsprochen und sein Verständnis hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung von virtuellen Währungen dargelegt: Der Umtausch von herkömmlichen FIAT-Währungen17 in currency-Token und umgekehrt sei eine sonstige steuerbare Leistung, die im Rahmen richtlinienkonformer Gesetzesauslegung nach § 4 Nr. 8 Buchst. b UStG aufgrund der Vergleichbarkeit von Umsätzen aus einem herkömmlichen Währungsumtausch umsatzsteuerfrei ist. Die Umsatzsteuerbefreiung gelte jedoch nicht für virtuelles Spielgeld (sog. Spielwährungen oder Ingame-Währungen, insbesondere in Onlinespielen), da diese kein Zahlungsmittel i.S.d. MwStSystRL darstellen. Die Hingabe von currency-Token zur bloßen Entgeltentrichtung sei nicht umsatzsteuerbar, da die Verwendung von currency-Token der Verwendung von herkömmlichen Zahlungsmitteln ebenfalls gleichzusetzen sei, soweit sie keinem anderen Zweck als dem eines reinen Zahlungsmittels dient. In Bezug auf die umsatzsteuerliche Behandlung des Mining handele es sich mangels eines konkreten Leistungsaustauschs bei den Leistungen der Miner um nicht umsatzsteuerbare Vorgänge.
Das BMF hat am 10. Mai 2022 ein lang erwartetes Schreiben bezüglich „Einzelfragen zur ertragsteuerlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“ veröffentlicht.18 Einige aktuelle Entwicklungen wie beispielsweise die steuerliche Behandlung von sogenannten Non-Fungible Token („NFT“)19 werden darin nicht explizit aufgegriffen. Die Grundsätze des BMF-Schreibens sollen allerdings auf alle offenen Fälle anwendbar sein.
Nach Auffassung des BMF stellt Mining einen Anschaffungsvorgang dar, der je nach Einzelfallbetrachtung Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit oder (private) Vermögensverwaltung darstellen kann.20 Als Einnahmen werden neben den für die Blockerstellung erhaltenen virtuellen Token auch die Transaktionsgebühr sowie das von einem Betreiber eines Mining-Pools erhaltene Entgelt für die zur Verfügung gestellte Rechenleistung gewertet. Im Hinblick auf die Abgrenzung einer gewerblichen von einer vermögensverwaltenden Tätigkeit sei bezüglich des Mining im Regelfall von einer gewerblichen Tätigkeit auszugehen, wenn der Steuerpflichtige nachhaltig für eigene Rechnung tätig wird und das Unternehmerrisiko trägt sowie eine gewisse unternehmerische Initiative entfalten kann. Die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sei durch die Zurverfügungstellung der Rechenleistung an die Netzwerkteilnehmer gegeben, unbeachtlich sei hingegen, dass der Miner nur bei erfolgreicher Erstellung eines Blocks ein Entgelt erhalte. Aufgrund der hohen Anschaffungskosten für die Hardware und der mit dem Betrieb der Hardware zwangsläufig verbundenen hohen Energiekosten werde nach Auffassung des BMF beim Mining das Vorliegen einer gewerblichen Tätigkeit vermutet, diese Annahme könne jedoch bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht widerlegt werden.
Von einer bloß vermögensverwaltenden Tätigkeit sei im Einzelfall auszugehen, wenn sich die Betätigung noch als Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten darstellt und die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung nicht entscheidend in den Vordergrund trete.21
Die Abgrenzungskriterien sollen auch für die steuerliche Einordung eines Mining-Pools gelten. Je nach vertraglicher Ausgestaltung könne ein Mining-Pool auch eine Mitunternehmerschaft begründen, der Betreiber des Mining-Pools übernehme jedenfalls nur eine koordinierende Rolle und trage das Unternehmerrisiko nicht alleine. Wenn dem Betreiber von den einzelnen Minern lediglich entgeltlich Rechenleistung zur Verfügung gestellt wird, soll jedenfalls noch keine Mitunternehmerschaft vorliegen.
Liegen die Voraussetzungen einer gewerblichen Tätigkeit nicht vor, sind die Einkünfte aus dem Mining als Einkünfte aus sonstigen Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar.
Nach Auffassung des BMF handelt es sich bei im Betriebsvermögen gehaltenen Coins/Token um nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter, die nach den allgemeinen bilanzsteuerrechtlichen Grundsätzen dem Anlage- oder Umlaufvermögen zuzuordnen seien. Bei im Privatvermögen gehaltenen Coins/Token handle es sich um ein „anderes Wirtschaftsgut“ im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG. Der für virtuelle Währungen über Börsen, Handelsplattformen und Listen ermittelbare und selbstständig bewertbare Marktpreis stelle einen vermögenswerten Vorteil dar, für den der Erwerber eine Gegenleistung erbringe. Bei den Gewinnen aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Coins/Token handle es sich um Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, sofern der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung weniger als ein Jahr beträgt. Anders als im ursprünglichen Entwurf rückt das BMF in seinem finalen Schreiben von der Anwendung des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG bei virtuellen Währungen ab. Damit können Kryptowährungen, insbesondere auch bei Lending oder Staking nach Ablauf einer einjährigen Haltefrist steuerfrei veräußert werden. Für die Ermittlung der Veräußerungsfrist solle aus Vereinfachungsgründen der Anschaffungs- und Veräußerungszeitpunkt maßgebend sein, der sich aus der Wallet ergebe. Soll für die Veräußerungsfrist das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft maßgebend sein, müsse der Steuerpflichtige den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses durch geeignete Unterlagen nachweisen. Beträgt die Summe der aus sämtlichen privaten Veräußerungsgeschäften erzielten Veräußerungsgewinne weniger als EUR 600 im Kalenderjahr, ist der mit der Veräußerung der Coins/Token erzielte Gewinn nach § 23 Abs. 3 S. 5 EStG steuerfrei.
Der Entwurf des BMF stellt klar, dass auch ein Tauschgeschäft zwischen verschiedenen virtuellen Währungen (genauso wie das Tauschgeschäft von Einheiten einer virtuellen Währung in Einheiten einer staatlichen Währung) zu einer Veräußerung i.S.d. § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG führe und der sich aus solchen Tauschgeschäften erzielte Gewinn bei Veräußerung unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG ebenfalls steuerpflichtig ist. Zudem beginne die Veräußerungsfrist nach § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 S. 3 EStG nach jedem Tausch wieder von vorne, da aus Vereinfachungsgründen zu unterstellen ist, dass die zuerst angeschafften Token zuerst veräußert wurden22.
Je nach Ausgestaltung können Token auch als Wertpapiere oder andere Finanzinstrumente anzusehen sein. Dafür müssen Token als Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 4, Abs. 1 WpHG anzusehen sein. Handelt es sich bei dem vom Token vermittelten Recht um eine Schuldverschreibung und wird dadurch eine Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG begründet, sind die während der Haltezeit vereinnahmte Erträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 2 Abs. 1 S.1 Nr. 5 i.V.m. § 20 EStG zu qualifizieren. Eine Veräußerung der Schuldverschreibung fällt entsprechend in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG. Damit können Veräußerungsgewinne aus Kryptowährungen in bestimmten Fällen mit dem Kapitalertragsteuersatz von 25 %, statt des persönlichen Einkommensteuersatzes besteuert werden.
Aktuell gibt es zur Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung virtueller Währungen (noch) keine Rechtsprechung des BFH. Die ursprünglich vor dem BFH anhängig gewesene Revision gegen die Entscheidung des FG Köln hat der Kläger in der Zwischenzeit wieder zurückgenommen.
Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt war folgender: Der Steuerpflichtige erwarb in den Jahren 2014 bis 2016 über eine Handelsplattform Bitcoins im Wert von ca. EUR 20.000. Im Streitjahr 2017 tauschte er die Bitcoins durch zahlreiche Transaktionen auf verschiedenen Handelsplattformen zunächst in Ethereum und Monero und dann wieder in Bitcoin um und erzielte dadurch einen Gewinn i.H.v. EUR 3.441.261,70, den er in seiner Einkommensteuererklärung als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG) deklarierte. Mining betrieb der Steuerpflichtige nicht. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für 2017 erklärungsgemäß fest – zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung, den das Finanzamt Anfang des Jahres 2019 durch einen Folgebescheid wieder aufhob. Nach dem erfolglos gebliebenen Einspruch erhob der Steuerpflichtige gegen den Folgebescheid Klage vor dem FG Köln. In der Klagebegründung trug er vor, es sei weder ein (unverändertes) Wirtschaftsgut gegeben noch sei ein solches veräußert worden, weshalb auch kein privates Veräußerungsgeschäft vorliege. Selbst wenn man die Veräußerungsgewinne aus Tauschgeschäften mit Kryptowerten als privates Veräußerungsgeschäft werte, sei die Besteuerung aufgrund des strukturellen Vollzugsdefizits sowie wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verfassungswidrig.
Das FG Köln gab der Klage nur insofern statt, dass der aus einem Tausch von Bitcoins in Ethereum erzielte Gewinn i.H.v. EUR 2.419,78 innerhalb der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG nicht festgestellt werden konnte. Im Übrigen lehnte das FG Köln die Klage als unbegründet ab.
Kryptowerte sind „andere Wirtschaftsgüter“
Das FG Köln bestätigte die Auffassung der Finanzverwaltung und wertete die Veräußerungsgewinne aus den Tauschgeschäften als steuerpflichtige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften. Die vom Steuerpflichtigen gehandelten Kryptowerte Bitcoin, Ethereum und Monero sind Wirtschaftsgüter i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist der einkommensteuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsgutes weit zu fassen24 und auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen.25 Zum jeweiligen Stichtag muss ein wirtschaftlich ausnutzbarer Vermögensvorteil vorliegen, der als realisierbarer Vermögenswert angesehen werden kann.26 Nach Ansicht des FG Köln vermitteln Kryptowerte im Rechtsverkehr konkrete Möglichkeiten und Vorteile, ihnen kann und wird aufgrund der Nachfrage auf Handelsplattformen ein bestimmter Wert beigemessen. Wer Kryptowerte erwirbt, erhält für die erbrachte Gegenleistungen klar definierte Gewinnchancen, auch wenn deren Realisierbarkeit aufgrund eines möglichen Kursverfalls risikobehaftet ist. Genauso besteht aufgrund von Kurssteigerungen die Möglichkeit, die Kryptowerte mit Gewinn weiter zu veräußern. Wenn für die Erlangung einer Gewinnchance Zahlungen geleistet werden, treten Gewinnaussichten als Wirtschaftsgut in Erscheinung. Entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen sind Kryptogeschäfte nicht mit reinen Glücksspielen zu vergleichen. Bei Glücksspielen geht die zufallsabhängige Gewinnchance nach Maßgabe der jeweiligen Spielregeln bei Spielende unter. Für Kryptogeschäfte gibt es hingegen etablierte Märkte, die durch geschäftliches Handeln das Erzielen wirtschaftlicher Vorteile ermöglichen. Kryptowerte verfallen anders als Einsätze bei Glücksspielen weder durch Zeitablauf noch durch Spekulation. Auch weisen Kryptowerte unabhängig von zivilrechtlichen Übertragungsmöglichkeiten eine für Wirtschaftsgüter ausreichende Verkehrsfähigkeit auf. Erforderlich und ausreichend ist nach der Rechtsprechung des BFH, dass der Rechtsverkehr Wege gefunden hat, einem Dritten Kryptowerte über Handelsplattformen entgeltlich zu überlassen und dadurch wirtschaftlich zu verwerten.27
Kryptowerte sind dem Steuerpflichtigen wirtschaftlich zurechenbar
Entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen hängt die Einordnung von Kryptowerten als Wirtschaftsgut nicht von der Feststellung ab, wer zivilrechtliche Eigentümer der Kryptowerte ist. Vielmehr ist die Zurechnung des (rechtlichen oder wirtschaftlichen) Eigentums nach § 39 AO eine Rechtsfolge der Wirtschaftsguteigenschaft, nicht deren Voraussetzung. Das FG Köln ließ offen, wer rechtlicher Eigentümer von Kryptowerten ist. Jedenfalls ist dem Steuerpflichtigen das wirtschaftliche Eigentum nach § 39 Abs. 2 AO zuzurechnen.
Kein strukturelles Vollzugsdefizit und kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz
Die Besteuerung von Kryptowährung nach § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG begründet kein Vollzugsdefizit, welches zu einer gleichheitswidrigen oder sonst rechtswidrigen Besteuerung führt. Der Umstand anonymer Veräußerung zwischen den Vertragsparteien genügt hierfür nicht. Besteuerungslücken im Handel mit Kryptowerten beruhen auf faktischen Schwierigkeiten einer steuerlichen Kontrolle. Vollzugsdefizite reichen für sich genommen nicht aus, um die Verfassungswidrigkeit einer Norm zu begründen. Im Übrigen bestehen gewisse Kontrollmöglichkeiten und Identifizierungen können u.a. durch Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung gegenüber Handelsplattformen vorgenommen werden, so dass keine totale Anonymität besteht. Es ist denkbar, die Blockchain auch retrospektiv auszulesen und die hinter den Transaktionen stehenden Personen zu identifizieren. Die Festsetzungsfrist von zehn Jahren bei Steuerhinterziehung birgt für den Steuerpflichtigen das Risiko noch innerhalb eines sehr langen Zeitraums identifiziert zu werden (§ 169 Abs. 2 S.2 AO).
Das FG Berlin-Brandenburg hatte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über einen Antrag zur Aussetzung der Vollziehung zu entscheiden, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids bestanden (§ 69 Abs. 3 S.1, Abs. 2 S.2 FGO). Das Finanzamt hatte die Erträge beim Kauf (bzw. Tausch) von Ethereum mit Bitcoin als sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften qualifiziert (§ 22 Nr. 2 EStG i. V. m. § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG).
Dem hielt der Steuerpflichtige unter Darlegung der technischen Abläufe und Verweis auf das o.g. Whitepaper entgegen, die Erträge seien nicht durch Anschaffung und Veräußerung entstanden. Ihm stünden keine durchsetzbaren Rechte von wirtschaftlichem Wert zu, sodass es sich nicht um andere Wirtschaftsgüter i.S.d. Norm handele. Denn das KG Berlin29 habe – in einem Strafverfahren – festgestellt, dass es sich bei Bitcoin nicht um eine Rechnungseinheit handele. Die Besteuerung sei wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig und führe zu einer Inländerdiskriminierung.
Das Finanzamt verwies darauf, dass die BaFin Bitcoins als Rechnungseinheit und Finanzinstrument i.S.d. § 1 Abs. 11 S.1 KWG qualifiziert habe30, sodass die für Fremdwährungsgeschäfte geltenden Grundsätze maßgeblich seien.
Das FG Berlin-Brandenburg lehnte den Antrag des Steuerpflichtigen ab, da es an der vorgenommenen Besteuerung keine ernstlichen Zweifel hatte. Unter Berücksichtigung der Literaturauffassung stufte es Bitcoin als steuerverstrickte, private Vermögensgegenstände ein, die im Geschäftsgebrauch als Zahlungsmittel akzeptiert würden. Eine ggf. notwendige Auseinandersetzung mit den Einzelheiten technischer Abläufe wäre – wenn man ihnen im Hinblick auf die bislang gängige Definition des Wirtschaftsgutes überhaupt Relevanz zuerkennen wolle – dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
In der Urteilsbegründung knüpft das FG Berlin-Brandenburg dabei an die Kryptowährung Bitcoin an, wobei es sich im vorliegenden Fall um Ethereum handelte. Es erscheint fraglich, ob dem FG Berlin-Brandenburg der Unterschied zwischen diesen zwei Kryptowährungen31 nicht bewusst gewesen oder nach dessen Rechtsauffassung für die Besteuerung irrelevant gewesen ist.
Ebenfalls in einem Verfahren über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte der Steuerpflichtige zunächst Gewinne aus dem An- und Verkauf diverser – im Wesentlichen wohl keine Bitcoins – Kryptowährungen erklärt. Mit einem weiteren Schreiben legte er Trades im Zusammenhang mit einem Hackerangriff dar, sodass ein Verlust erzielt worden sei.
Nach Auffassung des Steuerpflichtigen existiere keine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Besteuerung und er verwies auf das zur Revision zugelassene – und inzwischen erledigte33 – Verfahren vor dem FG Baden-Württemberg34, welches die Steuerpflicht beiläufig bezweifelt hatte. Es bestünde ein strukturelles Vollzugsdefizit, da das Finanzamt allein auf die freiwilligen Auskünfte der Steuerpflichtigen angewiesen sei. Einer Einordnung von Kryptowährungen als Wirtschaftsgut stünde auch die extreme Volatilität entgegen.
Das FG Nürnberg beanstandete, dass das Finanzamt die technischen Abläufe und die Ermittlung der Anschaffungskosten nicht nachvollzogen habe und damit den maßgebenden Sachverhalt nicht ermittelt habe (§ 88 AO). Das Finanzamt treffe die Feststellungslast für einen Sachverhalt, der die Steuerlast des Steuerpflichtigen erhöhe. Dies gelte insbesondere bei tatsächlich und rechtlichen komplexen Beurteilungen.
Das FG Nürnberg führte dennoch aus, dass die bestehenden steuerlichen Vorschriften ausreichend seien, um die Besteuerung von Geschäftsvorfällen mit einer Kryptowährung zu beurteilen. Den Ausführungen des FG Berlin-Brandenburg vermochte das FG Nürnberg nicht zu folgen, wobei es deutlich herausstellte, dass sich das FG Berlin-Brandenburg nicht ausreichend tief mit den Unterschieden zwischen Bitcoin und Ethereum auseinandergesetzt habe.
Abzuwarten bleibt, ob es infolge der Blockchain-Strategie zu einer klarstellenden Gesetzesanpassung von § 23 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EStG kommen wird. Der Blockchain Bundesverband e.V. hatte diesbezüglich bereits Vorschläge gemacht35, welche die steuerrechtlichen Bewertungsunterschiede anhand des mit einem Coin/Token verbundenen Anspruchs i.S.d. § 194 Abs. 1 BGB herleiten.
In Aussicht steht auch ein Inkrafttreten einer EU-Verordnung über Märkte für Kryptowerte (Markets in Crypto-Assets, „MiCA“). Eine vorläufige Einigung über einen Entwurf der Europäischen Kommission wurde von dem Rat und dem Europäischen Parlament Ende Juni 2022 erzielt. Die MiCA-Verordnung soll sich mit der Regulierung von currency-Token und utility-Token befassen und steht als europäische Regelung somit im Spannungsfeld zum nationalen eWpG. Das Europäische Parlament hat im Rahmen der Abstimmungen zum finalen Entwurf der MiCA-Verordnung gegen ein Verbot des energieintensiven Konsens- und Schutzverfahrens („Proof of Work-Methode“) gestimmt, welches den Mitgliedsstaaten das Mining von Kryptowährungen wie Bitcoin und Minero untersagt hätte.36 Aufgrund des hohen Energieverbrauchs von Kryptowährungen hatte der Ausschuss-Berichterstatter Stefan Berger (CDU) vorgeschlagen, Krypto-Assets genauso wie alle anderen Finanzprodukte in den Bereich der Taxonomie-Verordnung aufzunehmen.37
Darüber hinaus hat die OECD den Entwurf38 eines eines internationalen rechtlichen Rahmens für Steuertransparenz, der den automatischen Austausch steuerlich relevanter Daten über Transaktionen mit Krypto-Assets in einem standardisierten Verfahren vorsieht, (Crypto-Asset Reporting Framework, „CARF“) veröffentlicht. Ziel ist die Sammlung und der Austausch von steuerlich relevanten Informationen über Krypto-Asset-Transaktionen. Dabei wird das CARF aus drei Bestandteilen bestehen: (1) Regelungen und Kommentare, die zwecks Informationssammlung in nationales Recht umgesetzt werden können, (2) Informationsaustauschvereinbarungen sowie (3) technische Lösungen zur Sicherstellung des Informationsaustauschs.
Ferner hatte die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie über die Verwaltungszusammenarbeit auf Krypto-Assets und elektronisches Geld (DAC8) eingeleitet. Mit dieser Initiative wird die Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden (Directive on Administrative Cooperation) geändert, um sicherzustellen, dass die EU-Vorschriften mit der sich entwickelnden Wirtschaft Schritt halten und weitere Bereiche wie Krypto-Vermögenswerte und E-Geld einbezogen werden. Die Verabschiedung der DAC 8-Richtline durch die EU-Kommission steht noch aus39.
Angekündigt ist auch ein weiteres BMF-Schreiben in Bezug auf Steuererklärungs-, Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten bei Kryptowährungen. Mit Blick auf andere Länder bleiben die nächsten Entwicklungen zu Kryptowährungen spannend. So haben beispielsweise El Salvador, Venezuela und die zentralafrikanische Republik40 Bitcoin als staatliches Zahlungsmittel anerkannt, während Ägypten, Irak, Katar, Oman, Marokko, Algerien, Tunesien, Bangladesch, China, Türkei41 und Russland42 dagegen ein absolutes Krypto-Zahlungsverbot verhängt haben.43
In Österreich werden Veräußerungsgewinne aus Kryptowährungen natürlicher Personen künftig als Kapitaleinkünfte besteuert. Das Gesetz trat am 1. März 2022 in Kraft und gilt rückwirkend auf nach dem 28. Februar 2021 getätigte Anschaffungsvorgänge. Ob sämtliche Veräußerungsgewinne im Zusammenhang mit Kryptowährungen in Deutschland zukünftig ebenfalls als Kapitaleinkünfte besteuert werden, bleibt abzuwarten.
Die Herausforderungen einer Blockchain-Struktur als Vehikel zur Unternehmens- und Immobilienfinanzierung bzw. -beteiligung sind technisch anspruchsvoll und auf der finanz-, datenschutz- und steuerrechtlichen Ebene komplex. Wenn Sie eine interdisziplinäre rechtliche Begutachtung Ihres Whitepapers benötigen, wenden Sie sich gerne an unser Team.
Wenn Sie bereits gegenüber dem Finanzamt Erträge aus dem Handel mit Kryptowährungen in Ihrer Steuererklärung erklärt haben, empfiehlt es sich vor dem Hintergrund der jüngsten finanzgerichtlichen Entscheidungen und der gesetzgeberischen Entwicklung, die Bestandskraft der Steuerbescheide durch Rechtsbehelfe offen zu halten. Gerne unterstützen wir Sie im finanzbehördlichen und -gerichtlichen Verfahren.
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