Was das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die deutsche Klimapolitik bedeutet
„Die Politik muss beim Klimaschutz planvoll nachbessern.“
So lässt sich der am 29.04.2021 veröffentlichte Beschluss (BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 u.a.) des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen. Der Senat hat entschieden, dass die Regelungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 („KSG“) über die nationalen Klimaschutzziele teilweise verfassungswidrig sind.
Das Bundesverfassungsgericht („BVerfG“) hatte in vier Verfassungsbeschwerdeverfahren darüber zu befinden, ob das KSG verfassungswidrig ist. Es hat zwar die Verfassungsbeschwerden überwiegend als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen. Jedoch hat es in einem sehr bedeutenden Teil in drei Verfahren die Verfassungsbeschwerden als begründet befunden und somit das KSG für teilweise verfassungswidrig erklärt.
Vordergründig führt dies zunächst dazu, dass das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben hatte, das KSG bis zum 31.12.2022 zu ändern. Diese Änderungen sind bereits jetzt auf den Weg gebracht und werden im Gesetzgebungsverfahren derzeit diskutiert.
Bei genauerem Studium der Urteilsgründe fällt aber auf, dass das Gericht dem Gesetzgeber sehr weitreichende Vorgaben und Hinweise für die künftige Ausgestaltung des Klimaschutzes in der Bundesrepublik gemacht hat. Inhaltlich setzt sich das Bundesverfassungsgericht sehr ausführlich mit den Vorgaben des Übereinkommens von Paris der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen („Pariser Abkommen“), der Reichweite des in Artikel 20a GG festgelegten Staatsziels „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ sowie der „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zum Klimaschutz auseinander – also der Beeinträchtigung der Freiheitsrechte künftiger Generationen, die von einschneidenden Beschränkungen zur Verhinderung der Erderwärmung ausgehen, die ihrerseits darin begründet liegen, dass die vorherigen Generationen keine hinreichenden Klimaschutzmaßnahmen erdulden mussten.
Das KSG regelt in §§ 3 Abs. 1 S. 2, 4 Abs. 1 KSG die Treibhausgas-Emissions-Minderungsziele bis zum Jahr 2030. Für die Zeit ab dem Jahr 2030 sah das KSG vor, dass Rechtsverordnungen der Bundesregierung die Minderungsziele für die einzelnen Sektoren festlegen. Die im Gesetz festgeschriebenen Minderungsziele basieren auf den Grundannahmen des Pariser Abkommens. Das Ziel des KSG wurde daher auch so formuliert, dass die Erwärmung der Erde auf deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden sollte. Eben diese zeitlich bis zum Jahr 2030 begrenzten Regelungen hat das BVerfG für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.
Der Gesetzgeber hat Grundrechte verletzt, weil er keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat, die in den Jahren nach 2030 möglicherweise sehr hohen Emissionsminderungspflichten grundrechtsschonend zu bewältigen. Solche stark freiheitseinschränkenden Maßnahmen könnten deswegen drohen, weil der Gesetzgeber in der Zeit vor dem Jahr 2030 die Maßnahmen zur Emissionsminderung nicht ausreichend planvoll gestaltet hat.
Insoweit verletzen § 3 Abs. 1 S.2 und § 4 Abs. 1 S. 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 die Beschwerdeführenden schon jetzt in ihren Grundrechten. Die Entscheidung des Gesetzgebers, bis zum Jahr 2030 die im KSG bestimmte Menge an CO2-Emissionen zuzulassen, entfaltet „eingriffsähnliche Vorwirkung“ auf die durch das Grundgesetz umfassend geschützte Freiheit der Beschwerdeführenden und bedarf daher verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Das Gesetz ist insoweit verfassungswidrig, als es unverhältnismäßige Gefahren der Beeinträchtigung künftiger grundrechtlicher Freiheiten begründet. Denn wegen der in den Vorschriften bis zum Jahr 2030 vorgesehenen Emissionsmengen, die die nach dem Jahr 2030 unter Wahrung des verfassungsrechtlich gebotenen Klimaschutzes noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren, muss der Gesetzgeber zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität hinreichende Vorkehrungen treffen.
Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit auch über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Eine Verlagerung der durch Artikel 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft ist daher nicht zulässig.
Konkret fehlen aus Sicht des BVerfG Mindestregelungen über Reduktionserfordernisse nach dem Jahr 2030, die geeignet wären, einer notwendigen Entwicklung klimaneutraler Techniken und Praktiken rechtzeitig grundlegende Orientierung und Anreiz zu bieten.
In verfassungsrechtlicher Hinsicht zwingt das BVerfG den Gesetzgeber zwar bis Ende 2022 tätig zu werden. Es schreibt dem Gesetzgeber auch ins Stammbuch, dass er trotz der weltweiten Dimension der Erderwärmung und ihrer Ursachen die derzeit erforderlichen und möglichen Maßnahmen nicht zu Lasten künftiger Generationen aufschieben darf. Nichtsdestotrotz erkennt das Gericht an, dass der Gesetzgeber mangels gesicherter Erkenntnisse und der unmöglichen Vorhersage technologischer Entwicklungen nicht nur (vor)bestimmte Maßnahmen ergreifen darf. Es hält den Gesetzgeber aber an die durch das Pariser Abkommen festgestellten Grundvoraussetzungen und Emissionsreduktionsziele gebunden.
Dennoch zeigt das Bundesverfassungsgericht auch auf, dass der Gesetzgeber insoweit die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen treffen muss und dabei eine Einschätzungsprärogative hat. Vor diesem Hintergrund eröffnen sich dem Gesetzgeber zur Umsetzung der Minderungsziele eine Vielzahl an Möglichkeiten. Das Gericht mahnt aber an, dass der Gesetzgeber planvoll vorgehen muss, um die grundlegenden Voraussetzungen und Anreize dafür zu schaffen, dass die Emissionsreduktionsziele in den einzelnen (emittierenden) Sektoren erreicht werden. Es soll eine Innovationswirkung von den Regelungen des Gesetzgebers ausgehen. Somit schreibt das Gericht dem Gesetzgeber eine vorausschauende Planung als Maßgabe vor.
Die politische Dimension dieses Urteils ist nicht zu unterschätzen, was die schnelle Änderung des KSG einmal mehr belegt. Es ist nunmehr Aufgabe der Politik, im Sinne des BVerfG für eine intelligente und planvolle Umsetzung der Ziele des Pariser Abkommens zu sorgen. Dabei spielt für das BVerfG – wie auch für die betroffenen Wirtschaftszweige – die Planungssicherheit eine große Rolle. Die Klimaschutzgesetzgebung muss somit sorgsam und vorausschauend erfolgen. Insofern kann dieses Urteil auch als Wegweiser für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft verstanden werden, der nachhaltiges Leben und Wirtschaften sowie Investitionen in eine nachhaltige Zukunft ermöglichen soll.
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