Der Bundestag hat am 24. Juni 2021 in seiner letzten Sitzung der aktuellen Legislaturperiode das Erste Gesetz zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes aus 2019 auf den Weg gebracht. Die Zustimmung des Bundesrats erfolgt nur einen Tag später. Zugrunde liegt im Wesentlichen ein Entwurf der Bundesregierung vom 11. Mai 2021 (19/30230), die angenommene Fassung des Umweltausschusses (19/30949) enthält demgegenüber nur unwesentliche Änderungen. Anlass für die Novellierung des Bundes-Klimaschutzgesetzes ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 u.a., veröffentlicht am 29. April 2021), der Teile des KSG 2019 für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine Nachbesserung bis Ende 2022 aufgibt (Dentons berichtete hier). Die Neufassung dient der Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und nimmt die neuen – ausgehandelten, aber noch nicht beschlossenen – europäischen Klimaziele in den Blick.
Für das Jahr 2030 sieht das KSG 2021 eine schrittweise Anhebung des nationalen Klimaschutzziels von bisher 55 % auf mindestens 65 % Minderung gegenüber dem Basisjahr 1990 vor (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KSG 2021). Hierdurch soll bereits kurz- bis mittelfristig mehr Klimaschutz erreicht und damit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen werden, die Treibhausgasminderungslast (s. Art. 20a GG) nicht in unverhältnismäßiger Weise auf künftige Generationen zu verlagern. Gleichzeitig wird – antizipierend – der Erhöhung der europäischen Klimaziele für das Jahr 2030 von mindestens 40 % auf mindestens 55 % Rechnung getragen.
Im Jahr 2040, für das im KSG 2021 erstmalig ein Klimaziel bestimmt wird, soll eine Minderung von mindestens 88 % erreicht werden (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KSG 2021). Das Bundesverfassungsgericht hatte das Fehlen einer Fortschreibung der Minderungsziele für die Zeiträume ab dem Jahr 2031 für verfassungswidrig erklärt.
Gemäß des neuen § 3 Abs. 2 Satz 1 KSG 2021 soll durch entsprechende Minderung der Treibhausgasemissionen bereits im Jahr 2045 Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden. Netto-Treibhausgasneutralität liegt bei einem Gleichgewicht zwischen anthropogen verursachten Treibhausgasemissionen und deren Abbau durch Senken vor (s. § 2 Nr. 9 KSG 2019). Sie wurde bisher erst für das Jahr 2050 angestrebt (s. § 1 Satz 2 KSG 2019). Das KSG 2021 sieht vor, dass nach dem Jahr 2050 nun negative Treibhausgasemissionen erreicht werden sollen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 KSG 2021).
Für die Sektoren des § 4 Abs. 1 Satz 1 KSG 2019 (Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges) werden die in Anlage 2 bestimmten Jahresemissionsmengen für die Jahre 2023 bis 2030 angepasst. Ziel ist, die Erreichung des neuen nationalen Klimaschutzziels von mindestens 65 % im Jahr 2030 (s.o.) zu gewährleisten. Die noch ausstehenden jährlichen Sektorziele bis 2045 sollen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegt werden (für die Jahre 2031 bis 2040 im Jahr 2024 und für die Jahre 2041 bis 2045 im Jahr 2034).
Zu beachten sind dabei die in der neuen Anlage 3 zum KSG 2021 erstmals normierten sektorübergreifenden jährlichen Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040. Vorgesehen ist ein „linearer Minderungspfad“ der Gesamtemissionen von 67% in 2031 auf 88% in 2040 gegenüber dem Basisjahr 1990. Zur Regelung der jährlichen Minderungsziele für die Jahre 2041 bis 2045 hat die Bundesregierung spätestens im Jahr 2032 einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen.
Für die Energiewirtschaft ist im Vergleich zu den anderen Sektoren ein überproportionaler Beitrag vorgesehen. Das Sektorziel für das Jahr 2030 wird von aktuell 175 (s. Anlage 2 zum KSG 2019) um über ein Drittel auf künftig 108 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent reduziert. Im Verhältnis zu der für das Jahr 2020 zulässigen Jahresemissionsmenge von 280 Millionen Tonnen bedeutet dies eine Verringerung von über 60 %.
Weitere Änderungen sind eine Stärkung des Klimaschutz-Beitrags des Sektors Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) durch die Einführung einer konkreten Zielvorgabe für die Verbesserung der Emissionsbilanzen sowie die Stärkung des Expertenrats für Klimafragen.
Zur konkreten Umsetzung der im KSG 2021 vorgezeichneten Ziele bedarf es laut Bundesumweltministerium einer „ausgewogen(en) Kombination (aus) Anreize(n), Regeln und Förderung aus dem Bundeshaushalt“. Als ersten Schritt hat das Bundeskabinett hierzu mit Beschluss vom 12. Mai 2021 den „Klimapakt Deutschland“ vorgestellt. Der Klimapakt sieht ein bereits in den nächsten Wochen vorzulegendes Sofortprogramm 2022 der Bundesregierung mit „schnell wirksame(n) und hoch effiziente(n) Maßnahmen“ vor. Bis zu acht Milliarden Euro werden für die Maßnahmen zur Verfügung gestellt.
Das Sofortprogramm 2022 umfasst neben sektoralen Maßnahmen in den vom KSG festgelegten Emissionssektoren (u.a. Energiewirtschaft, Sanierungen im Gebäudesektor, Industrie) auch übergreifende Maßnahmen, die dabei helfen sollen die neu gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. Einige Maßnahmen sind nachstehend exemplarisch aufgeführt:
So soll im Sektor Energiewirtschaft u.a. eine Förderung für den Ausbau von Offshore-Elektrolyseuren zur Produktion von grünem Wasserstoff auf See gewährt werden. Forderungen nach einem Förderprogramm für die Elektrolyse von Wasserstoff auf See hatte das Bundeswirtschaftsministerium bislang zurückgewiesen. Erste Flächenausschreibungen sollen noch in diesem oder im nächsten Jahr stattfinden. Die beabsichtigte Förderung soll über einen Zeitraum von fünf Jahren bis 2027 laufen. Die Förderung soll zudem an die Erzeugungsmengen gekoppelt sein.
Im Gebäudesektor plant die Bundesregierung das Gebäudeenergiegesetz („GEG“) Anfang des Jahres 2022 einer Überprüfung und ggf. Novellierung zu unterziehen. Der Entwurf des Sofortprogramms sieht hierfür vor, dass die Regelungen für die Dämmung von Gebäuden verschärft werden. Künftig müssen neu gebaute Häuser mehr Energie sparen. Das sogenannte Effizienzhaus („EH“) 55 würde demnach vom Jahr 2023 an zum Neubaustandard für alle Gebäude erhoben. Ab dem Jahr 2025 ist mit einer weiteren Verschärfung zu rechnen. Dann würde der sogenannte Standard EH 40 gelten. Neubauten dürfen dann nur noch maximal 40 % der Energie eines Standardgebäudes verbrauchen. Bisher war das Erreichen dieses Standards den Bauherren freigestellt. Zudem soll eine Pflicht zur Installation von Photovoltaik- oder Solarthermie-Anlagen für alle Neubauten und bei größeren Dachsanierungen eingeführt werden.
Ein großes Augenmerk legt das Sofortprogramm auf die Transformation des Industriesektors. In diesem Bereich will die Bundesregierung Investitionskostenförderprogramme für Anlagen zur klimaneutralen Stahlerzeugung (Direktreduktionsanlagen, Einschmelzer, Elektrolichtbogenöfen) und Projekte (u.a. Anlagen) zur THG-neutralen Chemieproduktion (Elektrifizierung Herstellungsprozesse, Schließen von Kohlenstoffkreisläufen, Substitution fossiler durch erneuerbare Rohstoffe) schaffen. Zudem will die Bundesregierung auch die Energieeffizienz im Industriesektor weiter steigern. Hierfür wird der im Programm „Bundesförderung für Energieeffizienz in der Wirtschaft“ vorgesehene Fördersatz für die Nutzung von außerbetrieblicher Abwärme (Fernwärme) von bisher 30 % auf 45 % (für KMU: auf 55 %) erhöht, um das vorhandene industrielle Abwärme-Potential auszuschöpfen.
Als Teil der übergreifenden Maßnahmen will die Bundesregierung unter der Federführung des Bundesministeriums der Finanzen Anfang des Jahres 2022 einen Vorschlag für eine umfassende Reform der Abgaben, Umlagen und Steuern im Energiesystem vorlegen.
Die Annahme des Gesetzesentwurfes erfolgt mit 351 Ja- zu 290 Nein-Stimmen und zehn Enthaltungen nach einem kurzen, aber streitbefangenen Gesetzgebungsverfahren.
Der Bundesrat hat am 28. Mai 2021 in verkürzter Frist ausführlich zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung Stellung genommen (Drucksache 411/21). Er forderte, nicht nur die Bekämpfung des Klimawandels sondern auch weitergehende Maßnahmen zur Abmilderung von dessen negativen Folgen gesetzlich zu verankern. Die finanziellen Lasten des Klimaschutzes müssten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden fair, sachgerecht und verhältnismäßig verteilt werden. Der Bund habe zudem die erforderlichen erheblichen Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr und den Gebäudebestand finanziell zu unterstützen.
Ländern, Verbänden und kommunalen Spitzenverbänden war im Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich des Regierungsentwurfes – der keine zwei Wochen nach Veröffentlichung des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses erfolgte – eine Stellungnahmefrist von nur rund einem Arbeitstag eingeräumt worden. Der Nationale Normenkontrollrat hat den faktischen Ausschluss der Beteiligung als erheblichen Mangel eingestuft (Drucksache 411/21, Anlage, S. 4, 8). So führt der Nationale Normenkontrollrat folgendes aus:
„Der nationale Normenkontrollrat sieht einen erheblichen Mangel darin, dass das Regelungsvorhaben, welche wichtige Richtungsentscheidungen mit erheblichen Auswirkungen für die Gesellschaft und Wirtschaft trifft, zwar formal eine Anhörung der Länder, Verbände und kommunalen Spitzenverbände vornimmt, bei einer Frist von etwa einem Arbeitstag aber faktisch keine Beteiligung ermöglicht. … Gerade bei so weitreichenden Entscheidungen wäre dies unbedingt erforderlich gewesen.“
Der Gesetzgeber kommt mit dieser – sehr schnellen – Gesetzesänderung der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts nach. Ob der Gesetzgeber mit dieser kurzfristigen Gesetzesänderung aber den nötigen Ausgleich der Interessen erreicht, ist höchst fraglich. So hatte das Bundesverfassungsgericht doch ausdrücklich ein planvolles Vorgehen angemahnt, um Planungs- und Rechtssicherheit für die Betroffenen zu erreichen.
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