Was gibt es Neues aus der Versicherungswelt? Anlässlich einer gemeinsamen Aufsichtsmitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie den für die Vermittleraufsicht zuständigen Industrie- und Handelskammern (IHK) vom 04.07.20223 geben wir Ihnen einen umfassenden Überblick zur jüngsten Entwicklung im Bereich von Gruppenversicherungen.
Bei einer sog. „echten“ Gruppenversicherung schließt ein Versicherer einen Versicherungsvertrag mit einem einzelnen Versicherungsnehmer, der wiederum einer Vielzahl von versicherten Personen unter diesem Vertrag Versicherungsschutz verschafft. Dies geschieht, indem die versicherten Personen dem Vertrag entweder freiwillig beitreten oder aufgrund gesetzlicher Vorgaben oder Mitgliedschaften „automatisch“ versichert sind. Die Position eines Versicherungsnehmers, der anderen Versicherungsschutz im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsvertrags verschafft, aber selbst keinen Versicherungsvertrag vermittelt (sog. Gruppenspitze), unterlagt nach langjähriger traditioneller Rechtsauffassung in Deutschland nicht der Vermittleraufsicht. Diese Grenzen der Aufsicht haben sich durch ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem September 2022 verschoben.
In dem vom EuGH entschiedenen Fall beauftragte ein Unternehmen Werbefirmen, durch Haustürwerbung Mitgliedschaften einzuwerben, die zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen bei Krankheit oder einem Unfall im Ausland berechtigten. Für das Leistungspaket zahlten die Kunden an das Unternehmen ein Entgelt, wobei das Leistungspaket auch den Beitritt zu einer Gruppenversicherung umfasste. Für den erforderlichen Versicherungsschutz hatte das Unternehmen zuvor als Gruppenspitze einen Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen. Die Versicherungsprämie wurde im Ergebnis von den versicherten Personen über das Entgelt für die Mitgliedschaften getragen. Die Schadenregulierung erfolgte direkt zwischen dem Versicherungsunternehmen und den versicherten Personen.
Der EuGH entschied für diese besondere Fallkonstellation, dass die Gruppenspitze als Versicherungsvermittler einzustufen sei, und deshalb der Aufsicht für Versicherungsvermittler nach der europäischen Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) unterliege.
Die Einstufung einer Gruppenspitze als Versicherungsvermittler hat sowohl Konsequenzen für den Versicherungsnehmer (die Gruppenspitze) als auch den Versicherer.
Der Versicherungsnehmer benötigt für seine Tätigkeiten eine Erlaubnis durch die zuständige IHK und muss dafür sowohl theoretische Kenntnisse als auch praktische Erfahrungen im Bereich der Vermittlung von Versicherungsprodukten nachweisen. Des Weiteren gehen mit dem Status als Versicherungsvermittler diverse berufsrechtliche Pflichten einher, insbesondere die Pflicht, Kunden in angemessener Form zum Versicherungsschutz zu beraten , was bei Sorgfaltsverstößen eine Haftung nach sich ziehen kann. In diesem Zusammenhang bestehen Pflichten hinsichtlich der Überlassung wichtiger Vertragsunterlagen wie der Versicherungsbedingungen und weiterer Verbraucherinformationen , die jüngst durch ein weiteres EuGH-Urteil verschärft wurden. Ferner bestehen Offenlegungspflichten zur Art der Vergütung und dem Status als Vermittler sowie die Pflicht, ein Beschwerdemanagement-System zu unterhalten.
Weil die Pflicht, für Tätigkeiten eines Vermittlers eine Vermittlerlizenz zu unterhalten, wettbewerbsrechtlich eine Marktverhaltensregel ist, sind Gruppenspitzen, die nach der IDD wie ein Versicherungsvermittler auftreten und sich weder auf Befreiungstatbestände nach der Gewerbeordnung (GewO) berufen noch eine entsprechende Vermittlerlizenz vorhalten können, dem Risiko ausgesetzt, von Wettbewerbern oder Verbraucherverbänden abgemahnt zu werden. Dieses Abmahnrisiko hat das jüngste BGH-Urteil, welches die EuGH-Entscheidung umgesetzt hat, maßgeblich vor Augen geführt, denn das betreffende Verfahren wurde von einem Verbraucherverband geführt.
Versicherungsunternehmen sind verpflichtet, nur mit solchen gewerbsmäßig tätigen Versicherungsvermittlern zusammenzuarbeiten, die entweder im Besitz einer IHK-Erlaubnis sind, von der Erlaubnispflicht befreit sind oder bereits nach den gesetzlichen Vorschriften der Gewerbeordnung (GewO) nicht der Erlaubnispflicht unterliegen. Versicherer sollten daher für ihre Gruppenversicherungsverträge prüfen, inwieweit sie diese Versicherungsverträge fortführen können oder diese ggf. kündigen müssen, um den Anforderungen des EuGH-Urteils Rechnung zu tragen.
Weil EuGH-Entscheidungen eine Bindungswirkung für nationale Gerichte und Behörden haben , stellt sich seit dem September 2022 die Frage, welche weiteren Konstellationen einer Gruppenversicherung von dem EuGH-Urteil erfasst werden und damit der IDD unterliegen. Die Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung, weil Gruppenversicherungsverträge sowohl in diversen Wirtschaftsbereichen als auch im nicht-unternehmerischen Bereich weit verbreitet sind und die betreffenden Gruppenspitzen nicht immer als Versicherungsvermittler nach der IDD lizensiert sind.
Ein breites Spektrum reicht von Unfallversicherungen, die Sportvereine ihren Mitgliedern anbieten, über Reiseversicherungsschutz, den Mietwagenfirmen oder Kreditkartenfirmen ihren Kunden anbieten, bis hin zu Transportversicherungsschutz durch Spediteure und Frachtführer sowie Kreditausfallversicherungen, bei denen Banken als Gruppenspitze die Kreditausfallrisiken ihrer Kunden versichern und dafür Provisionen erhalten. Die zuletzt genannte Konstellation hat die europäische Versicherungsaufsicht (EIOPA) bereits im Juli letzten Jahres unter Transparenzgesichtspunkten adressiert.
In einer gemeinsamen Aufsichtsmitteilung vom 04.07.20223 („Mitteilung“) haben sich jetzt die BaFin sowie die für die Vermittleraufsicht zuständigen IHK zum Umfang der Bindungswirkung des EuGH-Urteils geäußert und damit für die aufsichtsrechtliche Praxis erste „Leitplanken“ veröffentlicht. Die Aufsichtsbehörden erläutern in der Mitteilung ihr Verständnis der EuGH-Entscheidung und bilden Fallgruppen, in denen nach ihrer Auffassung Gruppenspitzen bereits dem Grunde nach nicht als Versicherungsvermittler einzustufen sind. Nach Auffassung der Aufsicht sind die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung auch auf B2B-Verträge anzuwenden und betreffen darüber hinaus auch bereits abgeschlossene Gruppenversicherungsverträge, also das Bestandsgeschäft.
Die Mitteilung zeichnet die drei Kernkriterien der EuGH-Entscheidung nach, unter denen eine Gruppenspitze als Versicherungsvermittler einzustufen ist, und legt damit Grundsätze für die künftige deutsche Aufsichtspraxis fest:
Vor dem Hintergrund der dargestellten Kriterien diskutiert die Mitteilung zunächst Fallkonstellationen aus dem Bereich von Sportvereinen. Hier ist die begrüßenswerte Tendenz der Aufsicht ersichtlich, eine Vermittlertätigkeit zu verneinen, sofern Beiträge den Mitgliedern (wenn überhaupt) nur in Form einer Aufwandserstattung in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten bzw. der angefallenen Versicherungsprämie weiterbelastet werden und der Versicherungsschutz nur dem eigentlichen Hauptzweck dient: der Ausübung einer gemeinnützigen Tätigkeit. Die Mittelung behandelt anschließend Fallkonstellationen mit Arbeitgebern als Gruppenspitze. Auch bei diesen Fallgruppen ist die begrüßenswerte Tendenz ersichtlich, eine Vermittlertätigkeit zu verneinen, sofern der Beitritt zum Gruppenversicherungsvertrag nicht freiwillig erfolgt, beziehungsweise die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Vordergrund steht. Dies wird grundsätzlich auch für Direktversicherungen in der betrieblichen Altersvorsorge angenommen.
Des Weiteren diskutiert die Mitteilung Fälle im Bereich des Kleingewerbes wie insbesondere eine Glasbruchversicherung durch ein Brillengeschäft, eine Mobilitätsgarantie durch ein Autohaus sowie Haftpflicht-, Kasko- und Insassenunfallversicherungsschutz durch ein Mietwagenunternehmen, wobei den betreffenden Unternehmen jeweils eine Vergütung gezahlt wird. Diese Fallkonstellation stuft die Mitteilung jeweils als aufsichtspflichtige Versicherungsvermittlung ein.
Für Pflichtversicherungen von Kammerberufen, bei denen der Beitritt zum Gruppenversicherungsvertrag automatisch mit dem Kammerbeitritt durch die betreffende Satzung angeordnet wird, geht die Mitteilung ebenfalls nicht von einer Vermittlungstätigkeit aus, auch dann nicht, wenn die Kammer eine Aufwandsentschädigung in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten erhält.
Schließlich diskutiert die Mitteilung Fallkonstellationen aus dem Bereich des Speditionsgewerbes sowie der Objektversicherungen im Rahmen von Leasingverträgen und kommt dabei jeweils zu dem Ergebnis, dass in Abhängigkeit von der betreffenden Fallkonstellation eine Einstufung als Versicherungsvermittlung möglich erscheint.
Zu der Frage, inwieweit sich diese Beispiele auf Einzelsachverhalte übertragen lassen, stellt die Mitteilung klar, dass stets die individuelle Vertragsgestaltung sowie der konkrete Einzelfall berücksichtigt werden müssen.
Versicherungsnehmer sollten zeitnah die folgenden Schritte einleiten, um mit den dargestellten Rechtsthemen zielgerichtet umzugehen.
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