"2-Säulen-Modell"
Am 12. April 2023 haben die Bundesminister Karl Lauterbach (Gesundheit) und Cem Özdemir (Ernährung und Landwirtschaft) ein neues Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken in Deutschland vorgestellt.
Diesem zweiten Eckpunktepapier geht das erste Eckpunktepapier aus dem Oktober 2022 voraus, welches u.a. die Möglichkeit der Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken durch lizensierte Geschäfte und Apotheken, die Legalisierung von Kauf und Besitz von bis zu 30 gr. Cannabisblüten zum Eigenkonsum sowie des Eigenanbaus von bis zu drei Cannabispflanzen vorsah.
Nach Veröffentlichung dieses Eckpunktepapiers tauschten sich die in das Legalisierungsprojekt eingebundenen Ministerien mit der EU-Kommission in Brüssel über die Europarechtsvereinbarkeit dieses Vorhabens aus, und fertigten, wohl nach Erhalt einschlägiger Rückmeldung, neue Eckpunkte aus, die im Vergleich zum ersten Eckpunktepapier zunächst etwas konservativer ausfallen.
Konkret definiert die Regierung ihr Vorhaben als „Zwei-Säulen-Modell“, welches sich aus der 1. Säule, „privater und gemeinschaftlicher, nicht-kommerzieller Eigenanbau“ und der 2. Säule, „regionales Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten“ zusammensetzt.
Die 1. Säule besteht aus der Legalisierung von individuellen Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen einerseits und dem Komplex „gemeinschaftlicher Eigenanbau“ in sog. Cannabisclubs andererseits. Diese Cannabisclubs sollen dem allgemeinen Vereinsrecht in Deutschland unterliegen. Es soll ermöglicht werden, dass diese Clubs innerhalb ihrer (max. 500) Mitglieder Cannabisblüten, -samen und -stecklinge verteilen. Die Zulassung und Überwachung soll durch die Landesbehörden erfolgen. Mit diesen Regelungen würde selbstverständlich die Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis bis zu bestimmten Höchstmengen einhergehen. Präventions- und Jugendschutzmaßnahmen sollen ausgeweitet werden.
Mit der 2. Säule sollen regional begrenzte, wissenschaftlich begleitete Modellprojekte etabliert werden, die den Weg zu einem, wie im Koalitionsvertrag 2021 angestrebten, bundesweiten, staatlich kontrollierten Genussmittelmarkt ebnen sollen. Es sollen, so das Eckpunktepapier, „die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden“. Es handelt sich dabei um ergebnisoffene wissenschaftlich begleitete Projekte, die zunächst über 5 Jahre laufen, und für deren Teilnahme nur Erwachsene innerhalb bestimmter räumlicher Begrenzungen in Betracht kommen.
Während im Vergleich zum ersten Eckpunktepapier ein vollständig geöffneter Markt, in dem jeder Erwachsene Cannabis zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften erwerben kann, nun nicht mehr die unmittelbare Priorität ist, so stellen die präsentierten Säulen dennoch Etappen auf dem Weg zu diesem Ziel dar.
Ein Gesetzesentwurf zur 1. Säule soll noch im April 2023 präsentiert werden. Die Umsetzung, so Lauterbach, solle noch im Laufe des Kalenderjahres 2023 erfolgen. Der Gesetzesentwurf zur 2. Säule werde wohl nach der Sommerpause vorliegen und zeitversetzt nach der 1. Säule umgesetzt. Dieser von Lauterbach vorgegebene Zeitrahmen dürfte für Industrie wie Konsumenen deutlich kurzfristiger sein als erwartet. Insbesondere betonen Lauterbach und Özdemir, dass man bei beiden Säulen eine Einbeziehung des Bundesrats vermeiden wolle. Ob dies möglich sein wird, ist fraglich, denn die 1. Säule etwa beinhaltet durchaus eine Zulassung und Überwachung durch die Verwaltungsbehörden der Länder, sodass ggf. doch eine Zustimmungspflicht des Bundesrates besteht. Zudem wolle man, so Özdemir auf Nachfrage, bei der 1. Säule ein Notifizierungsverfahren der EU-Kommission vermeiden, bei der 2. sei ein solches wohl unausweichlich.
Zunächst wirkt es, als ob die Bundesregierung mit den neuen Eckpunkten im Vergleich zum ursprünglich ausgerufenen Ziel, sowie zum ersten Eckpunktepapier aus dem Oktober 2022, doch etwas zurückrudert. Jedoch war die Völker- und Europarechtslage von vornerein insofern eindeutig, dass das ursprüngliche Vorhaben in dem Ausmaß und ohne Änderung der aktuellen Rechtslage rechtwidrig gewesen wäre. Dass die Bundesregierung ihr Vorhaben von vornerein transparent präsentierte und sich freiwillig in einen konstruktiven Diskurs mit der EU-Kommission begab, verringert das Risiko eines eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission (Art. 258 AEUV) und eines für das Vorhaben ungünstigen Urteils durch den EuGH deutlich. Dass auf einschlägige Rückmeldung der EU-Kommission durch Anpassungen, bzw. Kompromisse, reagiert wird, ist demnach konsequent.
Nichtsdestotrotz bleiben vor Veröffentlichung der tatsächlichen Gesetzesentwürfe viele Unklarheiten für die Praxis zurück. Die größte dürfte die der Bezugsquelle der sog. Cannabisclubs sein. Wo findet der tatsächliche Anbau statt? Wer stellt die Infrastruktur und die Fachexpertise bereit, die es zum Anbau von Cannabis unter Berücksichtigung bestimmter Qualitätsstandards benötigt? Bereits der Bedarf nach medizinischem Cannabis kann aktuell nicht ansatzweise durch gewerblichen Anbau in Deutschland abgedeckt werden; da erscheint es zum jetzigen Zeitpunkt recht utopisch, dass potenziell Millionen von Genussmittel-Konsumenten durch vereinseigenen Anbau versorgt werden können.
Die präsentierten Eckpunkte reizen jedoch wohl den Rahmen des aktuell EU-rechtlich Möglichen bereits aus. Die Intention, langfristig auf EU-Ebene für eine progressive, präventionsorientierte Cannabispolitik zu werben, ist im Eckpunktepapier festgeschrieben und wohl auch der einzige effektive Weg, um das ursprüngliche Ziel der vollständigen Legalisierung und der Etablierung eines Genussmittelmarkts zu verwirklichen.
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