Das Land Hessen erhält zum 1. September 2021 ein umfangreich geändertes Landesvergaberecht. Zum einen tritt an diesem Tag das neue Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG) in Kraft. Zum anderen gilt ab diesem Datum der an das novellierte HVTG angepasste Runderlass zum öffentlichen Auftragswesen (Vergabeerlass). Der aktualisierte Vergabeerlass ersetzt für hessische Auftraggeber die Bestimmungen der VOL/A im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen unterhalb der Schwellenwerte durch die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO).
Neben der Ablösung der VOL/A durch die UVgO nutzte die hessische Landesregierung die Novellierung des hessischen Vergaberechts dazu, einzelne Sonderregelungen einzuführen, die von den Vorschriften der UVgO abweichen. Diese landesspezifischen Besonderheiten sowie die wesentlichen Neuerungen in der HVTG werden nachstehend kurz vorgestellt:
Dem öffentlichen Auftraggeber ist es freigestellt, ob er Vergabeverfahren mit elektronischen Mitteln (sog. „e-Vergabe“) durchführt. Dies bedeutet, dass der öffentliche Auftraggeber den Bewerbern und Bietern – in Abweichung von §§ 7 Abs. 1, 3 und 4 sowie 38 Abs. 3 UVgO – vorgeben darf, ihre Teilnahmeanträge und Angebote in Papierform einzureichen. Da die Teilnahmeanträge und Angebote – in Abweichung zu § 39 UVgO – nicht verschlüsselt eingereicht werden müssen, ist sogar ein Versand per Telefax und per E-Mail möglich. Ebenso ist es dem öffentlichen Auftraggeber – in Abweichung zu § 29 UVgO – freigestellt, den Bewerbern die Vergabeunterlagen direkt auf der HAD zum Abruf bereitzustellen. Verhandlungsvergabe. Eine Verhandlungsvergabe von Liefer- und Dienstleistungen kann gemäß § 14 Abs. 3 HTVG erfolgen, wenn ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird und der geschätzte Auftragswert den Betrag von EUR 100.000 ohne Umsatzsteuer je Auftrag nicht überschreitet (lit. b) oder wenn kein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird und der geschätzte Auftragswert den Betrag von EUR 50.000 ohne Umsatzsteuer je Auftrag nicht überschreitet (lit. c).
Eine Verhandlungsvergabe von Liefer- und Dienstleistungen kann gemäß § 14 Abs. 3 HTVG in Abweichung zur UVgO erfolgen, wenn ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird und der geschätzte Auftragswert den Betrag von EUR 100.000 ohne Umsatzsteuer je Auftrag nicht überschreitet (lit. b) oder wenn kein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird und der geschätzte Auftragswert den Betrag von EUR 50.000 ohne Umsatzsteuer je Auftrag nicht überschreitet (lit. c).
Aufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer EUR 10.000 nicht überschreitet, können gemäß § 1 Abs. 1 HVTG direkt vergeben werden. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind hierbei zu beachten.
In Abweichung zu § 22 Abs. 1 Satz 1 UVgO sollen gemäß § 14 HVTG Leistungen in Losen vergeben werden. Eine Pflicht besteht damit nicht, lediglich ein Gebot. Auftragsbekanntmachung. Die vorgesehene Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung hat gemäß § 13 Satz 1 HVTG vorrangig in der Hessischen Ausschreibungsdatenbank (HAD) zu erfolgen. Die HAD bleibt damit Pflichtbekanntmachungsorgan des Landes. Ob der öffentliche Auftraggeber die Bekanntmachung zusätzlich in anderen Medien (z.B. Internetseite des Auftraggebers, Tageszeitung, etc.) veröffentlicht, ist ihm freigestellt.
Ebenso ist gemäß § 13 Satz 1 HVTG eine Vergabebekanntmachung über jeden vergebenen Auftrag mit einem Auftragswert über EUR 25.000 in der HAD zu veröffentlichen.
Der öffentliche Auftraggeber ist – in Abweichung zu § 40 Abs. 2 UVgO – nicht verpflichtet, die Öffnung der Angebote mit mindestens zwei Vertretern gemeinsam an einem Termin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist durchzuführen. Ebenso ist es dem öffentlichen Auftraggeber – in Abweichung zu § 40 Abs. 1 UVgO – nicht verboten, vor Ablauf der entsprechenden Fristen Einsicht in die per Telefax oder per E-Mail versendeten Teilnahmeanträge und Angebote zu nehmen.
Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Wege der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn im Rahmen einer Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung keine ordnungsgemäßen oder nur unannehmbaren Angebote eingereicht wurden.
Mit der Novellierung der HVTG steht es dem Auftraggeber nicht länger frei, bei der Auftragsvergabe soziale, ökologische, umweltbezogene und innovative Anforderungen zu berücksichtigen. Der öffentliche Auftraggeber ist gemäß § 3 Abs. 1 HVTG nunmehr im Grundsatz gehalten, die vorgenannten Aspekte zu berücksichtigen, sofern nicht eine Ausnahme eine Nichtanwendung rechtfertigt (sog. „Regel mit Ausnahmevorbehalt“).
In Abkehr zur bisheriger Rangfolge der Vergabearten wird zukünftig gemäß § 12 Abs. 1 HVTG die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb der Öffentlichen Ausschreibung gleichgesetzt.
Um die Beschaffung von Wohnraum aus vergaberechtlicher Sicht zu unterstützen, dürfen Bauleistungen für Wohnzwecke gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 lit. c HVTG im Wege einer Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb beschafft werden. Dieser bauliche Zweck wurde als neue Bauleistung in die HVTG aufgenommen.
Das Interessenbekundungsverfahren, das mehr als sieben Jahren in Hessen zur Anwendung kam, wird gestrichen. Zukünftig wird das Interessenbekundungsverfahren durch den formellen Teilnahmewettbewerb ersetzt (vgl. § 12 Abs. 1, 2 und 3 HVTG). Dieser Schritt leistet einen erheblichen Beitrag dazu, dass das Vergaberecht bundesweit vereinheitlicht wird.
Für Leistungen, die im Rahmen freiberuflicher Leistungen erbracht werden, verweist § 14 Abs. 5 HVTG nunmehr auf § 50 UVgO. Demnach sind freiberufliche Leistungen zukünftig nur noch „im Wettbewerb“ zu vergeben.
In Abkehr von der bisherigen Rechtslage wird die Anzahl, der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Unternehmen, von fünf auf drei geeignete Unternehmen reduziert (vgl. § 12 Abs. 4 HVTG).
Als eines von wenigen Bundesländern besteht im Land Hessen nunmehr auch im Unterschwellenbereich ein – wenn auch eingeschränkter – Rechtsschutz für Bewerber und Bieter. So ist es gemäß § 18 Abs. 2 HVTG Bewerbern und Bietern möglich, bei Vergaben von Bauleistungen ab EUR 250.000 Euro und bei Liefer- oder Dienstleistungen ab EUR 50.000 vor Erteilung des Zuschlags einen behaupteten Verstoß gegen die Vergabevorschriften bei Hessen Mobil, der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main und den Regierungspräsidien (sog. Vergabekompetenzstellen) zu beanstanden. Bislang bestand lediglich bei Bauaufträgen die Möglichkeit, die behaupteten Verstöße bei den VOB-Stellen vorzutragen. Zu beachten ist jedoch, dass der Auftraggeber gemäß § 18 Abs. 4 HVTG nicht verpflichtet ist, die Empfehlung der Vergabekompetenzstellen umzusetzen. Es bleibt daher abzuwarten, wie effektiv der Rechtsschutz zukünftig gewährleistet wird.
Eine weitere Neuerung findet sich in § 17 HVTG. Demnach richtet die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main eine Informationsstelle ein, bei der alle schweren Verfehlungen, die die Integrität eines Unternehmens in Frage stellen, eingetragen werden. Als schwere Verfehlungen gelten gemäß § 17 Abs. 2 HVTG alle Sachverhalte, die fakultative Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4, 8 und 9 GWB, Verstöße gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz nach § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchwarzArbG sowie Ordnungswidrigkeiten nach § 23 Abs. 1 und 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 21 Mindestlohngesetz mit einem Bußgeld von mindestens EUR 2.500 zum Gegenstand haben. Im Unterschied zum Wettbewerbsregister, das beim Bundeskartellamt geführt wird, kommt es auf die rechtskräftige Verurteilung des Unternehmens nicht an. Es genügen nach § 17 Abs. 3 HVTG hingegen alle geeigneten Feststellungen, wie z.B. eine gerichtliche Verurteilung.
Die öffentlichen Auftraggeber des Landes sind gemäß § 17 Abs. 7 HVTG verpflichtet, ab einem Auftragswert von EUR 30.000 vor der Vergabe bei der Informationsstelle abzufragen, ob Informationen zu dem für die Zuschlagserteilung vorgesehenen Unternehmen vorliegen. Den Gemeinden, Gemeindeverbänden, Eigenbetrieben, kommunalen Arbeitsgemeinschaften und Zweckverbänden steht es frei, eine Abfrage bei der Informationsstelle vorzunehmen.
Die Novellierung der HVTG und die Einführung der UVGO in Hessen führt zu einer weiteren Vereinheitlichung des Vergaberechts im Unterschwellenbereich in Deutschland. Dies kommt insbesondere den Unternehmen zugute, die länderübergreifend tätig sind. Ebenfalls unternehmerfreundlich ist die Einrichtung von Vergabekompetenzstellen, an die Bewerber und Bieter Vergabeverstöße melden können. Inwieweit die öffentlichen Auftraggeber den Empfehlungen der Kompetenzstellen folgen werden, gilt es zu beobachten.
Kritisch ist aus Sicht der Unternehmen hingegen der Wegfall des Interessenbekundungsverfahrens zu beurteilen. Dies wird gerade in dem Bereich der Liefer- und Dienstleistungen zu einem spürbaren Verlust an Transparenz führen. Auch aus Sicht der Zuwendungsempfänger ist der Wegfall des Interessenbekundungsverfahrens mit Nachteilen verbunden. Zuwendungsempfänger sind im Falle der Binnenmarktrelevanz des Auftrags verpflichtet, das Vergabeverfahren öffentlich bekannt zu machen. Während andere Bundesländer zu diesem Zweck eigene ex-ante Transparenzbekanntmachungsmuster vorhalten, ist eine solche Möglichkeit derzeit im Vergabeerlass nicht vorgesehen. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Zuwendungsempfänger die benötigte Transparenz herstellen wollen.
Letztlich überzeugt auch die Möglichkeit nicht, dass Auftraggeber nunmehr Teilnahmeanträge und Angebote per E-Mail entgegennehmen können. Elektronische Vergabeverfahren außerhalb von elektronischen Vergabeplattformen sind oberhalb der Schwellenwerte aus guten Gründen ausgeschlossen. Hiergegen sprechen die Datensicherheit und -integrität, die Möglichkeit der Einsichtnahme in die vor Ablauf der Angebotsfrist per E-Mail eingegangenen Angebote sowie die Wahrung des 4-Augen-Prinzips bei der Angebotsöffnung.
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